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Entschädigung wegen Abschiebehaft von afghanischem Staatsbürger

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Sachverhalt:

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste zusammen mit seiner Frau und seiner damals 1½ jährigen Tochter mit dem Zug aus Österreich kommend am 2. Oktober 2013 in das Bundesgebiet ein. Bei der Grenzkontrolle in Passau konnte er keine aufenthaltslegitimierenden Ausweispapiere vorlegen. Er gab an, bereits in der Slowakei einen Asylantrag gestellt zu haben. Er wolle aber in Deutschland bleiben. Eine Abfrage im EURODAC-System ergab, dass der Kläger und seine Ehefrau in der Slowakischen Republik am 25. August 2013 einen Asylantrag gestellt hatten. Die Bundespolizei verfügte daher die Zurückschiebung des Klägers nach der Dublin-II-Verordnung (EG-Verordnung Nr. 343/2003, ABl. EG Nr. L 50/01). Ferner beantragte sie Haft zur Sicherung der Zurückschiebung. Mit Beschluss vom 3. Oktober 2013 ordnete das Amtsgericht Passau die vorläufige Freiheitsentziehung an. Der Kläger wurde daraufhin in die gesonderte Abteilung für Abschiebegefangene der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim gebracht. Die Ehefrau des Klägers sowie seine Tochter wurden in einer Gemeinschaftsunterkunft in Passau untergebracht.

In der Folgezeit wurde über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Wiederaufnahme des Klägers durch die Slowakische Republik betrieben. Am 8. Oktober 2013 beantragte die Bundespolizei Zurückschiebungshaft bis längstens zum 15. November 2013. Mit Beschluss vom 16. Oktober 2013 ordnete das Amtsgericht München unter Aufhebung der einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts Passau Abschiebehaft von 44 Tagen an (beginnend rückwirkend am 3. Oktober 2013, längstens bis zum 15. November 2013). Auf die Beschwerde des Klägers setzte das Landgericht München I am 30. Oktober 2013 die Vollziehung unter Auflagen – Aufenthaltnahme bei Ehefrau und Tochter in der Gemeinschaftsunterkunft in Passau; tägliche Erreichbarkeit dort um 10.00 Uhr und um 20.00 Uhr – aus und hob mit weiterem Beschluss vom 7. November 2013 die Haftentscheidung des Amtsgerichts München vom 16. Oktober 2013 auf. Gleichzeitig stellte das Landgericht fest, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Eine Entziehungsabsicht sei nicht erkennbar, jedenfalls reichten die gemachten Auflagen aus. Zwischenzeitlich hatte die Slowakische Republik der Rücknahme des Klägers und seiner Familie zugestimmt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verfügte daraufhin die Abschiebung. Nachdem der Kläger erfolglos versucht hatte, dagegen verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, entzog er sich der Zurückschiebung, in dem er mit seiner Familie die Zeit bis zum Ablauf der Zurückschiebefrist nach der Dublin-II-Verordnung im sogenannten Kirchenasyl verbrachte. Im Rahmen des deshalb in Deutschland durchgeführten nationalen Asylverfahrens wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Prozessverlauf:

Der Kläger hat die Beklagten auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für die Zeit seiner Abschiebehaft ab 3. Oktober 2013 in Höhe von 100 € je Hafttag (insgesamt 2.700 €) in Anspruch genommen. Das Landgericht hat das beklagte Land – unter Abweisung der weitergehenden Klage – zur Zahlung von 810 € (27 Tage à 30 €) verurteilt und die Klage gegen die beklagte Bundesrepublik insgesamt abgewiesen. Die Berufungen des Klägers und des beklagten Landes haben keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richten sich die vom Landgericht zugelassenen Revisionen des Klägers und des beklagten Landes.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der u.a. für das Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen und auf die Revision des Landes das Berufungsurteil einschließlich der zugrundeliegenden landgerichtlichen Entscheidung im Umfang der Verurteilung abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Zur Revision des Klägers (gegen die Abweisung der Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Höhe des gegen den Freistaat Bayern zuerkannten Betrags).

Die Instanzgerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Bundesrepublik Deutschland mangels Passivlegitimation kein Schadensersatzanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK zusteht. Zwar ist im Verfahren der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK die Bundesrepublik als Vertragspartei Beschwerdegegner; dementsprechend trifft sie eine etwaige vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Art. 41 EMRK zugesprochene Entschädigung. Im Rahmen der innerstaatlichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ist jedoch die Frage nach der Person des Verpflichteten durch Anwendung des Art. 34 GG zu klären. Danach ist der Hoheitsträger (Bund, Land oder sonstige Gebietskörperschaft) verantwortlich, dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung ausgeübt wurde. Der Eingriff in das Freiheitsrecht des Klägers beruhte auf den Haftentscheidungen der Amtsgerichte Passau und München. Über die Zulässigkeit und Fortdauer eines Freiheitsentzugs hat in Deutschland grundsätzlich nur der Richter zu entscheiden (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Bei einer auf der Anordnung eines Richters beruhenden Freiheitsentziehung wird mithin die Hoheitsgewalt der Gebietskörperschaft ausgeübt, in deren Dienst dieser steht. Letzteres war hier das beklagte Land und nicht die Bundesrepublik. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Bundespolizei Haftanträge gestellt und es ohne diese nicht zur Haft gekommen wäre. Diese Kausalitätsbetrachtung ist im Rahmen des Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht maßgeblich. Denn die Antragstellung ändert nichts daran, dass bei den anschließend nach jeweiliger Anhörung des Klägers und eigenverantwortlich von den Amtsgerichten getroffenen Haftentscheidungen nur Hoheitsgewalt des beklagten Landes und nicht der Bundesrepublik ausgeübt worden ist.

Die von der Revision angesprochene Zuständigkeit der Bundespolizei für den Vollzug der richterlichen Haftentscheidungen ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Der – im Übrigen hier in einer Anstalt des Landes vollzogene – Freiheitsentzug findet seine Grundlage allein in der richterlichen Haftanordnung. Die Vollzugszuständigkeit ist insoweit kein eigenständiger Anknüpfungspunkt für eine Passivlegitimation der Bundesrepublik. Art. 5 Abs. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich auch nur auf die Haft als solche, nicht dagegen den Vollzug beziehungsweise die Haftbedingungen. Dass die zuständige Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, von sich aus eine Beendigung der Haft zu veranlassen, wenn Umstände auftreten, die einer ursprünglich rechtmäßig angeordneten Haft nachträglich ihre Grundlage entziehen, spielt in diesem Zusammenhang schon deshalb keine Rolle, weil ein solcher Fall hier unstreitig nicht vorliegt. Soweit das Landgericht Ansprüche aus Amtshaftung verneint hat, wendet sich hiergegen der Kläger mit seiner Revision zu Recht nicht.

Die Rügen der Revision zur Höhe der dem Kläger gegenüber dem Beklagten zu 1 zuerkannten Entschädigung bleiben bereits deshalb ohne Erfolg, weil dem Kläger schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht (siehe nachfolgend zur Revision des Beklagten zu 1).

Zur Revision des beklagten Freistaats Bayern (gegen seine Verurteilung zum Schadensersatz)

Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es bei der Prüfung einer Haftung des beklagten Landes an die Entscheidung des Landgerichts München I vom 7. November 2013 gebunden sei. Zwar sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die Zivilgerichte im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung gebunden. Die Bindungswirkung erfasst in persönlicher Hinsicht die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens – bei Behörden deren Rechtsträger – und ihre Rechtsnachfolger und ist sachlich auf den Streitgegenstand beschränkt. Diese für den Amtshaftungsprozess entwickelten Grundsätze gelten gleichermaßen für einen Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK und insoweit auch für entsprechende Feststellungen der Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung im Abschiebehaftbeschwerdeverfahren. Im vorliegenden Fall greift die Bindungswirkung der Entscheidung des Landgerichts München I allerdings nicht zum Nachteil des beklagten Landes. Das beklagte Land gehörte nicht zu den Verfahrensbeteiligten. Vielmehr war die Bundespolizei und damit eine Behörde der beklagten Bundesrepublik neben dem Kläger an dem zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebehaft führenden Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht München I beteiligt. Dessen Entscheidung kann deshalb gegenüber dem beklagten Land, das insoweit in diesem Verfahren vom Gericht kein rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bekommen hat, keine Bindungswirkung in einem späteren Schadensersatzprozess zugesprochen werden.

Mangels Bindungswirkung kommt es damit darauf an, ob die durch die Amtsgerichte Passau und München angeordnete Freiheitsentziehung konventionswidrig im Sinne des Art. 5 Abs. 5 EMRK war. Dies hat der Senat verneint. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 5 Abs. 5 EMRK allerdings nicht erst dann als rechtswidrig anzusehen, wenn sie nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB) als unvertretbar zu bewerten wäre. Für die Konventionswidrigkeit spielt die Vertretbarkeit der richterlichen Haftanordnung keine Rolle. Art. 5 Abs. 5 EMRK knüpft – anders als § 839 BGB – nicht an die persönliche (und lediglich über Art. 34 GG auf den Staat übergeleitete) Verantwortung des Beamten oder Richters an, sondern an den konventionswidrigen Freiheitsentzug, d.h. an den objektiven Konventionsverstoß. Die richterliche Maßnahme ist daher auf ihre sachliche Richtigkeit, d.h. ihre Vereinbarkeit mit der Konvention, nicht lediglich auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.

Bezüglich der Richtigkeitskontrolle ist allerdings zu beachten, dass wenn die Anordnung einer Freiheitsentziehung auch von einer prognostischen Beurteilung tatsächlicher Umstände abhängt – wie etwa der Frage, ob Fluchtgefahr besteht beziehungsweise ob dieser auch durch ein milderes Mittel als der Haft ausreichend entgegengewirkt werden kann -, es aus der Natur der Sache nicht nur eine einzige richtige Entscheidung gibt und alle anderen Bewertungen rechtswidrig sind. Insbesondere geht es nicht an, dass der Richter im Entschädigungsprozess seine eigene Prognose einfach an die Stelle der des Haftrichters setzt. Vielmehr kann im Rahmen der Prognosen denen Bewertungsspielräume eigen sind, auch eine andere Würdigung nachvollziehbar, tragfähig und insoweit im Rahmen des Art. 5 EMRK rechtmäßig sein. Ausgehend von diesem Maßstab kann die von den Amtsgerichten Passau und München angeordnete Haft nicht als konventionswidrig im Sinne des Art. 5 Abs. 5 EMRK angesehen werden. Die Amtsgerichte sind – nach jeweiliger Anhörung des Klägers – unter anderem davon ausgegangen, dass die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung erforderlich ist und der Haftzweck nicht durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann. Die den Haftentscheidungen insoweit zugrundeliegende Prognose ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat bei seinen Anhörungen angegeben, mit seiner Familie in Deutschland bleiben und nicht in die Slowakei zurück zu wollen. Gegenüber der Bundespolizei hatte er dies zuvor unter anderem damit begründet, dass die Situation in der Slowakei „schlimm“ beziehungsweise „wie ein Gefängnis“ sei und man „dort nicht leben kann“. Wenn die Amtsgerichte unter anderem vor diesem Hintergrund davon ausgegangen sind, es bestehe die Gefahr, dass der Kläger sich nicht freiwillig der Zurückschiebung in die Slowakei stellen werde, sodass zur Sicherung Abschiebehaft nötig sei, ist diese seinerzeit angestellte Prognose nicht als rechtswidrig zu bewerten.

Eine Konventionsverletzung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus einem Verstoß gegen das sogenannte Trennungsgebot im Rahmen des Vollzugs der Abschiebehaft herleiten. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehörige (ABl. EU Nr. L 348/98) bestimmt zwar, dass die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu erfolgen hat. Hierauf lässt sich ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK für die nicht in einer solchen speziellen Haftanstalt, sondern lediglich in einer gesonderten Abteilung der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim vollzogene Abschiebehaft aber nicht stützen. Denn nach der Senatsrechtsprechung betrifft Art. 5 Abs. 5 EMRK nur die Freiheitsentziehung als solche, nicht den Haftvollzug beziehungsweise die Modalitäten der Haft; daher ergeben sich aus Art. 5 Abs. 5 EMRK keine Rechte von inhaftierten Personen in Bezug auf ihre Behandlung in der Haft. Ein Verstoß gegen das Trennungsgebot betrifft im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Senatsrechtsprechung nur den Vollzug der Haft.

Amtshaftungsansprüche gegen das beklagte Land macht der Kläger zu Recht nicht geltend.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 5 EMRK

Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f) Rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.

(5) Jede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme

oder Freiheitsentziehung betroffen ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG:

„Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.“

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